Es ist 5.00 Uhr morgens und es tröpfelt schon ein wenig. Kaum sitzen wir im Auto beginnt es zu schütten wie aus Kübeln. Mein erster Gedanke: „ Das wird ein langer Tag heute!“ Absagen und vertagen wegen des Wetters ist keine Option, dafür ist die Anreise zu lang, die Terminfindung mit meiner Crew zu schwierig und die Aufregung zu groß. Außerdem bin ich der Meinung, dass man eine angefangene Challenge immer beenden sollte, denn sonst wird das Aufgeben von Mal zu Mal leichter.
Was habe ich mir da vorgenommen? – Ich will mit dem Tretroller an einem Tag durch 5 Länder fahren und so einen Weltrekord aufstellen und es damit ins Guinness Buch schaffen. Die Vorbereitungsphase war kurz. Terminfindung mit meinen Kumpels, Routenplanung und ein wenig Training, insgesamt ca. 70 km. Das muss trotzdem gehen.
Und warum will man so etwas machen? – Zum einen brenne ich für Ausdauersport und liebe es, meine eigenen Ideen an der Wirklichkeit zu messen. Zum anderen ist es Teil meines Versuches, abenteuerlicher zu leben. Ich habe ein paar große Reisen hinter mir, die für mich wirkliche Abenteuer waren, aber jedes Mal wenn ich nach hause gekommen bin, fehlte mir etwas und der Alltag fühlte sich ein wenig fade an. Nach der letzten großen Reise habe ich mir vorgenommen, dass Abenteuer auch zu hause funktionieren kann.
Unter Abenteuer verstehe ich etwas neues zu machen, etwas das mich körperlich und mental herausfordert und das auch ein wenig entmutigend wirken kann. Das alles finde ich bei diesem Weltrekordversuch. Neu ist das Rollerfahren. Die lange Strecke wird ganz gewiss körperlich zur Herausforderung und mich, wenn der Körper müde wird, auch mental in den Grenzbereich führen. Für den offiziellen Weltrekord brauche ich unterwegs Zeugen und auch Berichterstattung in den Medien. Das erste Mal an die Öffentlichkeit zu gehen, ist für mich, wie wohl für die meisten Menschen, erstmal außerhalb meiner Komfortzone und damit die Komponente dieses Abenteuers die das meiste Kribbeln im Bauch verursacht.
Es regnet also. Und wie! Naja, wir haben nur zwei Stunden Autofahrt vor uns. Micha versucht noch eine Mütze Schlaf zu bekommen und ich quatsche mit Albi. Worüber weiß ich leider nicht mehr. Die Zeit vergeht im Flug und am Splügenpass kommt die Sonne endlich durch. Auf der anderen Seite in Italien ist das Wetter erwartungsgemäß gut. 6°C, aber purer Sonnenschein.
Wir kommen an und ich möchte am liebsten direkt starten. Das sorgt für mehr Chaos als nötig. Also erstmal durchatmen. Den Roller zusammen bauen. Die Formulare verteilen. Eine Startlinie auf die Straße malen. Die Kameras und GPS-Geräte fertig machen. Letzte Absprachen.
Dann kann es los gehen. Albi gibt das Startsignal, Micha filmt und ich fahre 7 Meter bis zum ersten Hotel. Hier bitte ich um eine Unterschrift, die bestätigt das ich mit dem Roller da war. Gleich 20 Meter weiter das Gleiche in der nächsten Herberge. Beim raus kommen muss ich mir vor den Kopf schlagen. Wir haben doch glatt das GPS im Auto liegen gelassen. Also nochmal zurück und das Teil einpacken.
Dann beginnt die Arbeit, von Montespluga sind es 3 km und knapp 120 Höhenmeter wieder auf den Pass hinauf. Da wird mir direkt wieder warm. Unzählige Autos überholen mich und die Insassen begutachten ungläubig mein Sportgerät.
Auf dem Pass ist der erste Checkpoint. Schnell ein Foto mit dem Italien Schild und ein kurzes Video und dann noch eine Jacke und eine Hose gegen die Kälte. Schon geht es an die Abfahrt. Schön schnell wird das Teil und es ist ein gänzlich anderes Gefühl mit 50 Sachen aufrecht den Hang herab zu rauschen, als sitzend auf dem Rad. Bin ich froh, dass ich mir noch ein „Erwachsenen“ Roller mit ordentlichen Bremsen ausgeliehen habe und das Ganze nicht auf meinem City-Roller mache.
Nach etwa 1/3 des Passes kommt ein Berghaus bei dem ich mich per E-Mail angekündigt hatte. Hier bekomme ich auch direkt die Bestätigung und viele gute Wünsche. Ah, herrlich so kann es weiter gehen.
Auf den ersten 20 km hilft die Routenplanung enorm. Ich muss nur selten treten, dann geht es schon wieder leicht Berg ab. Aber nach einiger Zeit bin ich im Tal, am Fluss, angekommen und nun beginnt die Arbeit.
Jede Stunde treffe ich mich mit meiner Crew, damit ich was trinken und essen kann und um die nötige Dokumentation zu bekommen. Danach geht es weiter über feinste Schweizer Radwege. Gut, es ist doch mehr Schotter als erwartet dabei und dieser frisst wirklich Energie. Der Fuß rutscht auf den Steinchen immer ein wenig weg und der Rollwiederstand ist natürlich höher. Zwei Mal kann ich auf die Landstraße ausweichen, aber meist muss ich da durch.
Auf den ersten 60 km waren die Gedanken noch sehr enthusiastisch und mein Gehirn gaukelte mir vor, dass ich bald in Bayern sein könnte und doch schon mal über das Abendessen im Brauhaus in aller Detailtiefe nachdenken sollte. Aber Kilometer 80, glücklicherweise etwa der Hälfte, musste ich dann etwas taktischer vorgehen und mich nur noch auf den nächsten Treffpunkt fokussieren. So klappte das vorankommen recht gut.
In Liechtenstein waren die Unterschriften glücklicherweise auch schnell eingesammelt. Aber das Land ist doch größer als man denkt. Zumindest wenn man es mit 15 km/h und ziemlich schweren Bein durchquert.
Zurück in der Schweiz hatte ich das Glück das sich je einmal einer meiner Begleiter auf unser Klapprad setzte und mich über ca. 10 km unterhielt, so dass die Schmerzen in den Hintergrund rückten.
In Österreich war ich dann wieder auf mich allein gestellt und es wurde noch einmal spannend. Es wurde langsam dunkel und die ersten 3 Versuche unabhängige Zeugen zu finden wurden einigermaßen unfreundlich zurückgewiesen. Leicht gestresst kam ich zur Seebühne in Bregenz, wo ich zu meinem großen Glück zwei der Ordner (Türsteher) überzeugen konnte ein zuspringen, um meine Weiterfahrt zu garantieren. Puuuuh!
Dann war auch schon Endspurt angesagt. In kompletter Finsternis ging es am See entlang bis nach Lindau. Ich wurde zwar immer langsamer, aber die Freude es in das fünfte Land geschafft zu haben wuchs auf den letzten Kilometern immens.
Die Ziellinie zwischen bayrischem Löwen und dem neuen Lindauer Leuchtturm überquerte ich überglücklich nach 14 Stunden und 11 Minuten und wurde zur Feier laut bejubelt und mit Sekt geduscht. Zahlreichen Passanten konnte ich noch ihre Fragen beantworten. Quasi Ende gut alles gut! Denn jetzt beginnt die Bürokratie, damit es ein offizieller Weltrekord wird. Aber dazu später mehr…..